Was der Komponist György Kurtág aus Kafka-Fragmenten machte

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„Einmal brach ich mir das Bein, es war das schönste Erlebnis meines Lebens.“

Wer so einen Satz in sein Tagebuch schreibt, muss entweder über einen besonders dunklen Humor verfügen, Franz Kafka heißen – oder beides. Ein Schnipsel, der vielleicht mehr über den Autor aussagt als ein ganzer Roman.

Bei einigen der wichtigsten Texte Kafkas („Der Prozess“, „Das Schloss“, „Der Verschollene“) handelt es sich genau genommen um Fragmente. Er hat seine großen Werke nie vollendet.

Kafkas Schnipsel werden zu Miniatur-Liedern

Kafkas Schnipsel werden zu Miniatur-Liedern

Vor einigen Jahren schuf der ungarische Komponist György Kurtág aus einigen von Kafkas Schnipseln 40 Miniatur-Lieder für Geige und Sopran. Die Texte bestehen aus Ausschnitten aus Kafkas Briefen, Notizen und Tagebüchern.

Was die Lieder so genial macht, ist ihre Kompaktheit. Eine gute Geschichte braucht einen Anfang und ein Ende – und im Idealfall eine Pointe. Viele Worte braucht sie hingegen nicht.

„Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben!“ Ist damit nicht alles gesagt über den Alltag von einem, der stets mit sich, seiner Gesundheit und nicht zuletzt auch der Liebe haderte?

Kurtágs „Kafka-Fragmenten“

In Verbindung mit der Geige, die sich mal kratzbürstig auf die Verse stürzt, mal melancholisch Visionen von Träumen und Blumen in die Luft zaubert, wird der bissige Witz Kafkas in Kurtágs „Kafka-Fragmenten“ noch ein bisschen sichtbarer, als er ohnehin ist.

„Auf Balzacs Spazierstockgriff: Ich breche alle Hindernisse. Auf meinem: Mich brechen alle Hindernisse. Gemeinsam ist das ,alle´.“

Kurtág vertonte auch mysteriöse Naturbeschreibungen und rätselhafte Kurzmärchen Kafkas. 1918 schrieb der Schriftsteller in sein drittes Oktavheft zwischen allerlei Notizen über seinen Alltag („Versuch nach Michelob zu gehn. Kot“) und Betrachtungen über das Leben („Ein Glaube wie ein Fallbeil, so schwer, so leicht“) die folgende Geschichte:

„Staunend sahen wir das große Pferd. Es durchbrach das Dach unserer Stube. Der bewölkte Himmel zog sich schwach entlang des gewaltigen Umrisses und rauschend flog die Mähne im Wind.“

Musik und Text

Dass Kurtág sich als Partnerin des Soprans ausgerechnet die Geige ausgesucht hat und nicht etwa das Klavier, ist kein Zufall. Es ergibt sich kein klassisches Liedduo, das Verhältnis zueinander muss immer wieder neu ausgelotet und definiert werden.

In der einen Miniatur kommentiert die Geige den Gesang, in der nächsten ist es andersherum. Manchmal kämpfen beide Seite an Seite. Ähnlich verhält es sich bei der Beziehung von Musik und Text: Es gibt immer wieder Überraschungen, plakativ und eintönig ist es nie.

Wer sich traut, die Ironie der kurzen Texte abzustreifen und sich emotional auf sie einzulassen, hat gute Chancen, in Kafkas Strudel der Melancholie mitgerissen zu werden. Manchmal ist für diesen Prozess nur eine einzige Zeile notwendig. „Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.“

Gute Literatur muss nicht lang sein. Manchmal lohnt es sich, sich auf das Wesentliche zu beschränken.

Udo Müller

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